Mittwoch, 28. Oktober 2015

Komm an mein Herz, ich hasse Dich. Kortison.


Ich bin seit ein paar Tagen mit dem Kortison durch! (Hier einen Tusch und einen kleinen Tanzeinlagen hindenken). Richtig verstehen, was das bedeutet, können vermutlich nur LeserInnen, die selbst schon mal längere Zeit Kortison nehmen mussten.  

"Kortison" ist dabei nur umgangssprachlich richtig, meistens ist es Prednison, dass man in Tablettenform nimmt und welches im Körper verstoffwechselt wird. Hier ist vielleicht ein wichtiger Disclaimer nötig: Ich habe keinerlei medizinische Fachbildung, sondern schreibe hier nur als Betroffene mit angelesenem Halbwissen und eigener Erfahrung. Bevor Ihr also irgendetwas einwerft, fragt bitte euren Arzt oder Apotheker. :)

Während eines Schubs ist Kortison großartig, es sorgt bei mir dafür, dass die Symptome in kurzer Zeit weniger schlimm werden. (Ihr seht schon: It's all about the symptoms. Gegen die eigentliche Krankheit ist bisher noch nichts gefunden.) Trotzdem versuche ich alles, das Zeug zu umgehen. Warum, wenn es doch so toll wirkt? Kortison ist für mich der König der Nebenwirkungen. In hohen Dosen macht es mich hibbelig, gereizt, aufgedreht... Und hungrig, so hungrig! Kortison kann den Stoffwechsel beeinflussen, bei mir bedeutet das: permanenter Hunger. Ich erinnere mich an meinen ersten Schub, ich hatte Nächte, da war ich um 4 Uhr hellwach, hab ferngesehen und den Kühlschrank geplündert. Unter Kortison nicht zuzunehmen ist aber nicht nur deswegen eine wirkliche Herausforderung, sondern ich wegen der Wassereinlagerungen, die es langfristig mit sich bringt, und damit Mondgesicht und Rettungsringe. Gerade, wenn der Darm durch die Entzündung noch gereizt ist, ist es unheimlich schwierig, sich dann auch "gesund" zu ernähren und alles, was leicht verdaulich ist, ist besser verträglich- das sind aber gerade nicht Dinge wie Gemüse und Vollkorn. Und ich schreibe "gesund", weil das natürlich relativ ist. Wenn der Darm krank ist, bedeutet gesunde Ernährung mitunter zeitweise viel Weißmehl und Gemüse maximal als Püree.
Ich erinnere mich an einen Beitrag in einem fürchterlichen Boulevard-Magazin, in dem darüber spekuliert wurde, dass Costa Cordalis ein fürchterlich fehlgeschlagenes Gesichtslifting gehabt haben müsse. Als dieser im Interview dann erwähnte, er hätte es am Rücken und es käme von den Medikamenten, war mir klar, woran der arme Kerl leidet. Der Blick in den Spiegel kann ganz schön schwer fallen, wenn man nach ein paar Wochen merkt,  dass es losgeht mit speckigem Hals, prallen Bäckchen und einem wie aufgepusteten Bauch (Codename: Sputnik).  

Man kann Kortison auch nicht einfach absetzten, wenn man sich besser fühlt- erstens, weil die Entzündung dann wieder aufflammen kann, zweitens, weil während der Einnahme der Körper die eigene Produktion runterfährt und ein spontanes absetzen dann die gesamte Körperchemie durcheinander bring. (Notiz an mich: Das muss mir mal ein Mediziner konkret erklären, spannend.) Das bedeutet, dass man langsam, langsam die Dosis senkt und hofft, dass der Körper mitspielt. 

Ich bin nun durch und bilde mir ein, dass mein Gesicht laaaangsam wieder in die gewohnte, auch so mehr als gesund runde, Form schwindet. Die nebenbei langfristig drohende Osteoporose habe ich mit der regelmäßigen Einnahme meiner Kalzium-Kautabletten hoffentlich abgewendet. (Wäre auch schade, die Dinger umsonst zu futtern, sie schmecken, als würde man fröhlich in ein Stück Tafelkreise beißen.) Dass ich nur ein paar Pfund zugenommen habe macht mich einerseits etwas stolz, andererseits müssen die auch irgendwie wieder runter. Aber über das Thema Gewicht schrieb ich ja bereits, ich bin froh, dass ich nach zwei Schüben nun schon wieder 2 Monate Ruhe habe, da kann ich mit den Speckrollen leben. 

Samstag, 3. Oktober 2015

Aus der Reihe: Dinge, die man besser nicht sagen sollte.

Oder: Fette Jahre, magere Zeiten

 

"Du siehst aber gut aus." 
"Ähm, ja, danke."

Den Crohn sieht man einem nicht direkt an. Es gibt trotzdem auch bei medizinischem Personal Vorstellungen davon, wie eine klassische Patientin auszusehen habe- nicht wie ich jedenfalls, hab ich festgestellt. Das seien meist junge dünne blonde Frauen, sagte die Schwester bei einem meiner ersten Krankenhausaufenthalte. Da hatte ich 12 Kilo abgenommen und hörte meine Zimmernachbarn sagen, ach, sei aber ja noch ordentlich dran an mir, so schlimm könne es ja nicht sein. Ich ernährte mich gerade vom Astronautenkost, war knapp an der Magensonde vorbei geschrabbt und froh, dass ich vorher so gut im Futter gestanden hatte. Mit Idealgewicht hätte mich der Schub damals schlimmer getroffen.

Für mich als jemand mit Morbus Crohn ist das omnipräsente Thema Gewicht und dessen normativer Charakter ein heikles Thema. Ich bin sensibler geworden, auch, wenn es um das Kommentieren des Gewichts anderer geht.

Ich habe schon Komplimente dafür bekommen, dass ich aber toll abgenommen habe. Dass ich tagelang nur Wackelpudding, Kartoffelbrei und Babygläschen gegessen hatte und ungezählte Male nachts zur Toilette rennen musste, antworte ich darauf meistens nicht. Und wenn man wieder zunimmt, die Haut rosiger und das Gesicht runder wird, weil das Kortison seine Nebenwirkungen zeigt, dann fällt es einem auch schwer, das Kompliment anzunehmen. Zum Kortison an derer Stelle mehr, das ist ein Thema für einen eigenen Post.

In meinem Fall hat mein Gewicht in den letzten 10 Jahren um rund 20 Kilo geschwankt, und mein Allgemeinzustand war davon relativ unabhängig gut oder mies. Und die rosigen Speckbäckchen vom Kortison sind davon ohnehin ebenso unabhängig. Wenn andere Leute über ihr Gewicht diskutieren, über Diäten, die neusten LowCarbTrendTipps, was alles dick oder dünn macht, darüber, wie unzufrieden sie mit ihren Pfunden sind...  Da steig ich oft aus der Diskussion aus. 

Ich esse gerne, ich koche gern, wer Tut das nicht? Essen ist Lebensqualität. Ich schätze den sozialen Charakter den Essens und es ist unfassbar toll, wenn man in "gesunden" Phasen der Erkrankung ("Remission", wenn sich der Crohn soweit verzieht, dass man fast das Gefühl hat, man sei gesund) einfach Essen kann, mit der Familie, mit Freunden, fast alles, was man will. Und nicht nach drei Bissen aufspringen muss und zu Toilette rennen muss. Sich auf dem Sofa krümmt, während die Freunde den Nachtisch in sich rein schaufeln. Auf dem Heimweg vom Restaurant mit Schweißperlen auf der Stirn in der Bahn steht und nur noch an die nächste Toilette denken kann.

Wenn Essen also phasenweise keine Katastrophe mit Ansage ist, dann macht Essen doppelt Spaß, von der Wirkungen des Kortisons auf den Blutzucker und Heißhunger ganz abgesehen. Und dann dann kann es sein, dass man es übertreibt und sich Kilos drauffuttert, die mehr als ein paar Speckröllchen bedeuten. Zumal eben Lebensmittel mit viel Ballaststoffen, Gemüse, Getreide, alles, was unter "gesund" läuft, auch während der Remission eine Tortur für den Darm sein können. Also: Hallo böse Carbs, meine Freunde. 

"Wie kann jemand eine Darmerkrankung haben und so proper aussehen?" 
Deswegen.