Samstag, 3. Oktober 2015

Aus der Reihe: Dinge, die man besser nicht sagen sollte.

Oder: Fette Jahre, magere Zeiten

 

"Du siehst aber gut aus." 
"Ähm, ja, danke."

Den Crohn sieht man einem nicht direkt an. Es gibt trotzdem auch bei medizinischem Personal Vorstellungen davon, wie eine klassische Patientin auszusehen habe- nicht wie ich jedenfalls, hab ich festgestellt. Das seien meist junge dünne blonde Frauen, sagte die Schwester bei einem meiner ersten Krankenhausaufenthalte. Da hatte ich 12 Kilo abgenommen und hörte meine Zimmernachbarn sagen, ach, sei aber ja noch ordentlich dran an mir, so schlimm könne es ja nicht sein. Ich ernährte mich gerade vom Astronautenkost, war knapp an der Magensonde vorbei geschrabbt und froh, dass ich vorher so gut im Futter gestanden hatte. Mit Idealgewicht hätte mich der Schub damals schlimmer getroffen.

Für mich als jemand mit Morbus Crohn ist das omnipräsente Thema Gewicht und dessen normativer Charakter ein heikles Thema. Ich bin sensibler geworden, auch, wenn es um das Kommentieren des Gewichts anderer geht.

Ich habe schon Komplimente dafür bekommen, dass ich aber toll abgenommen habe. Dass ich tagelang nur Wackelpudding, Kartoffelbrei und Babygläschen gegessen hatte und ungezählte Male nachts zur Toilette rennen musste, antworte ich darauf meistens nicht. Und wenn man wieder zunimmt, die Haut rosiger und das Gesicht runder wird, weil das Kortison seine Nebenwirkungen zeigt, dann fällt es einem auch schwer, das Kompliment anzunehmen. Zum Kortison an derer Stelle mehr, das ist ein Thema für einen eigenen Post.

In meinem Fall hat mein Gewicht in den letzten 10 Jahren um rund 20 Kilo geschwankt, und mein Allgemeinzustand war davon relativ unabhängig gut oder mies. Und die rosigen Speckbäckchen vom Kortison sind davon ohnehin ebenso unabhängig. Wenn andere Leute über ihr Gewicht diskutieren, über Diäten, die neusten LowCarbTrendTipps, was alles dick oder dünn macht, darüber, wie unzufrieden sie mit ihren Pfunden sind...  Da steig ich oft aus der Diskussion aus. 

Ich esse gerne, ich koche gern, wer Tut das nicht? Essen ist Lebensqualität. Ich schätze den sozialen Charakter den Essens und es ist unfassbar toll, wenn man in "gesunden" Phasen der Erkrankung ("Remission", wenn sich der Crohn soweit verzieht, dass man fast das Gefühl hat, man sei gesund) einfach Essen kann, mit der Familie, mit Freunden, fast alles, was man will. Und nicht nach drei Bissen aufspringen muss und zu Toilette rennen muss. Sich auf dem Sofa krümmt, während die Freunde den Nachtisch in sich rein schaufeln. Auf dem Heimweg vom Restaurant mit Schweißperlen auf der Stirn in der Bahn steht und nur noch an die nächste Toilette denken kann.

Wenn Essen also phasenweise keine Katastrophe mit Ansage ist, dann macht Essen doppelt Spaß, von der Wirkungen des Kortisons auf den Blutzucker und Heißhunger ganz abgesehen. Und dann dann kann es sein, dass man es übertreibt und sich Kilos drauffuttert, die mehr als ein paar Speckröllchen bedeuten. Zumal eben Lebensmittel mit viel Ballaststoffen, Gemüse, Getreide, alles, was unter "gesund" läuft, auch während der Remission eine Tortur für den Darm sein können. Also: Hallo böse Carbs, meine Freunde. 

"Wie kann jemand eine Darmerkrankung haben und so proper aussehen?" 
Deswegen. 

1 Kommentar:

  1. BITTE, BITTE WEITERSCHREIBEN, BITTE!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

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